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FESTIVALKURATION, FESTIVALMAGALOG

Dr. Marc Reisner

Warum Kinder die besseren Designer sind und warum wir ihre Kreativität erhalten sollten

FESTIVALKURATION, FESTIVALMAGALOG

Dr. Marc reisner

1968 begann George Land einen Test zur Er- forschung der Kreativität von Kindern.
Er konzipierte diesen Test ursprünglich, um für die NASA besonders kreative Köpfe zu rekrutieren. Das Ergebnis schrieb Geschichte: 98 Prozent der 1.600 getesteten Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren galten demnach als kreative Genies. Als die gleichen Kinder zwölf Jahre alt waren, wiederholte er den Test. Nun waren nur noch 30 Prozent der Kinder genial. Mit 15 fiel die Genialitätsrate weiter auf 12 Prozent. Der Test wurde ebenfalls mit
280.000 Erwachsenen durchgeführt: Lediglich zwei Prozent der Erwachsenen erreichten des Ergebnis „kreatives Genie“. Was war passiert? Warum ist so gut wie jedes Kind, im Sin ne eines phantasievollen und unangepassten Denkens, genial und warum haben Erwachsene diese Fähigkeit verloren? Jedes Kind besucht im Laufe seiner Entwicklung eine Institution, die jegliche Art von Kreativität unterdrückt, nicht duldet und zerstört: die Schule. Nun mag es Schulen geben, die ihren Schülern mehr Freiraum lassen als andere. Es gibt auch zweifelsohne Lehrer, die jeden Tropfen Herzblut für ihre Schüler hergeben. Das ändert aber nichts an einem System, das so fern von unserer heutigen Lebenswelt und den Bedürfnissen unserer Kindern ist, wie unser erster Raumflug ins nächste Sonnensystem. Die Rahmenbedingungen des „Systems Schule“ sind einfach so schlecht, dass die Lösung eines Problems keinen nennenswerten Fortschritt mehr für das System insgesamt bedeutet. An welcher Schraube soll man drehen, wenn die Hälfte aller Schrauben festgeschweißt sind und sich die andere Hälfte als Nieten entpuppt? Zu große Klassen, zu wenig individuelles Lernen und ein Ausbildungssystem von Lehrern, das noch dem Wertesystem unserer Urahnen entspricht: Das öffentliche Schulsystem ist in der Zeit der Industrialisierung entstanden – einer Zeit, in der man funktionierende Arbeiter für die Fab- riken „produzieren“ musste. Darauf aufbauend musste es schon bald willige Soldaten für zwei Weltkriege, sowie gehorsame Arbeiterinnen für die Heimatfront ausspucken. Seitdem ist zwar einiges passiert. Das grundlegende System hat sich aber nie verändert. Schule beruht auch heute noch auf Hierarchien und der Behauptung, dass wir alle gleich sind, alle das Gleiche lernen müssen und alle die gleichen Interessen haben. In einer Zeit von zunehmender Individualisierung und Selbstdarstellung in sozialen Medien, eine sehr zweifelhafte Annahme. Wer bestimmt eigentlich, dass Schiller wichtiger als Jon Bon Jovi ist?
Sir Ken Robinson stellte 2006 in seiner berühmten TED-Rede fest, dass alle Bildungssysteme der Erde die gleiche Hierarchie der Fächer haben: Ganz oben stehen Mathematik und Sprachen, dann folgen die Geisteswissenschaften und zuletzt die Kunst. Auch hier sollte nochmals gefragt werden: Wer definiert denn, dass Mathematik wichtiger ist als Musik? Ich werde nie vergessen, wie die Leiterin einer großen Weiterbildungsinstitution mir einst erzählte, dass ihr Mathematik ab der 5. Klasse nichts mehr in ihrem weiteren Leben gebracht hat. Sie zehre aber heute noch von all den Dingen, die sie im Kunstunterricht gelernt hat. Die dort gelernten Methoden setzt sie jeden Tag ein, aber Mathe? Kein Bedarf.
In den letzten 15 Jahren durfte ich an zahlreichen Hochschulen unterrichten. Von daher liegt mein Fokus weniger auf dem, was Schule tatsächlich leistet, sondern eher, wer in den deutschen Hochschulen als Student aufschlägt. Da fällt zunächst auf, dass Abiturienten völlig besessen von der Vorstellung sind, dass ein gutes Abitur gleichbedeutend mit besonders schlau oder intelligent ist. An einer Hochschule in Mannheim hatte ich ein prägendes Erlebnis mit einer Studentin, die einfach nicht einsehen wollte, dass ihr Referat komplett am Thema vorbei und inhaltlich streckenweise völlig falsch war. Sie argumentierte zunächst damit, dass sie ihr Referat selbst ganz toll fand. Nachdem mich das nicht überzeugte, wurde ihr Freund mit einbezogen. Der fand ihr Referat ebenfalls ganz arg toll. Als auch dies nicht fruchtete, kam als nächstes Argument, dass sie sich noch nie soviel Mühe für ein Referat gegeben habe. So folgte ein Argument dem anderem, in totaler Ignoranz meiner ursprünglichen Darstellung ihrer Problemfelder. Dies ist leider kein Einzelfall. Man nennt dieses Phänomen den Dunning-Kruger-Effekt: Inkompetente Menschen neigen zur totalen Selbstüberschätzung, da sie aufgrund ihrer Inkompetenz ja nicht wissen können, dass sie keine Ahnung von den Dingen haben, von denen sie reden. Die Wochenzeitung „Die Welt“ hat diesen Typus Mensch vor zwei Jahren treffend zitiert: „Ich könnte Bundeskanzler werden.
Aber will ich WIRKLICH in die Politik? Nee. Da würde ich mich zu sehr festlegen.“
Was lernt man also wirklich in der Schule? Mit einem Satz: Prüfungen zu bestehen. Schüler entwickeln mit der Zeit die Fähigkeit herauszufinden, was ihr Lehrer von ihnen erwartet. Dies dient einem einfachen Zweck: Die erwarteten Prüfungsleistungen sollen mit geringstem Aufwand umgesetzt werden. Dies ist durchaus machbar, denn in der Schule lernt man vor allem, dass es immer nur EINE richtige Lösung gibt. Das hat mit kreativem und unangepasstem Denken relativ wenig zu tun. Interessanterweise entspricht das genau der Fähigkeit eines guten Computerspielers: das Spiel zu analysieren, die Fehler in der Programmierung zu finden und dann diese Fehler auszunutzen. Da Computerspiele noch nicht in der Schule unterrichtet werden, könnte dies ein Hinweis dafür sein, dass Schüler gewisse Fähigkeiten von einem System adaptiert haben, das um jeden Preis von der Schule ferngehalten wird. 😉
Es gibt eine Übung, welche die Suche nach dieser EINEN richtigen Lösung treffend verdeutlicht: die Marshmallow Challenge. Vor einigen Jahren von Peter Skillman vorgestellt, ist dieser kleine Wettbewerb mittlerweile ein Klassiker. Man bildet dazu Teams von jeweils vier Leuten. Jedes Team bekommt 20 (ungekochte) Spaghetti, einen Meter Faden, einen Meter Klebeband und einen Marshmallow. Ziel der Übung: Wer innerhalb von 17 Minuten den höchsten freistehenden Turm mit einem Marshmallow auf dessen Spitze bauen kann, hat den Wettbewerb gewonnen. Dieser Versuch wurde weltweit einige Tausend mal durchgeführt. Das Ergebnis ist erstaunlich: Im Schnitt erreichen die Türme eine Höhe von 50 Zentimetern. Architekten und Statiker liegen naturgemäß weit darüber. BWL-Studenten sehr weit darunter. Warum? Weil sie gelernt haben, immer nach dem EINEN richtigen Lösungsweg zu suchen. Während sie über diesen diskutieren, rinnt ihnen die Zeit davon. Gegen Ende bricht Hektik aus und der Turm endet in einem Haufen zerbrochener Nudeln. Außerdem müssen sie erst mal klären, wer denn nun in dem Team das Sagen hat.
Kindergartenkinder hingegen liegen weit über dem Durchschnitt. Sie verplempern weder Zeit mit der Diskussion, wer denn nun der Teamchef sei, noch überlegen sie, was sie überhaupt bauen wollen. Sie bauen einfach drauf los. Wenn der Turm dann zusammenfällt macht das gar nichts, denn erstens können sie den Fehler in ihrer Konstruktion erkennen und zweitens haben sie genug Zeit, einen zweiten, dritten oder vierten Versuch zu starten. Kindergartenkinder sind perfekte Prototyper, sie bauen einen Prototypen nach dem anderen und lernen aus ihren Fehlern. Diese Art der Schleifenbildung ist ein wesentlicher Bestandteil von Design Thinking. In meinen Veranstaltungen gibt es regelmäßige Marshmallow Challenges und das Ergebnis ist oft noch viel ernüchternder als eben beschrieben, das heißt, nicht selten schafft es keine einzige Gruppe überhaupt einen Turm zum Stehen zu bringen. Interessanterweise verbessern sich die Studenten aber deutlich
bei einem zweiten oder dritten Durchlauf. Sie werfen ihr Vorhaben irgendwann, den EINEN richtigen Weg zu finden über Bord und tun das, was sie früher schon getan haben: sie spielen.
Und zwar miteinander und nicht gegeneinander. Wer bitteschön braucht einen Teamleiter, um einen Marshmallow auf eine Spaghettikonstruktion zu stecken?
Ausgehend von den Ergebnissen meiner Marshmallow Challenges habe ich mich auf die Suche nach Möglichkeiten gemacht, Studenten wieder Teile ihrer Kreativität zurückzugeben. Sie darin zu bestärken, ihren eigenen Weg zu gehen und nicht nach der EINEN vermeintlich richtigen Lösung zu suchen. Dabei sind mir viele interessante Projekte und Produkte begegnet, die vor allem für Kinder entwickelt wurden, aber auch eine große Fangemeinde unter den Erwachsenen finden. Drei davon möchte ich im Folgenden vorstellen:

Bloxels

„The most kid-friendly video game creation platform, ever.“ So beschreibt Pixel Press seine Videospieldesign-Plattform Bloxels. Das Kickstarter-Projekt von 2015 verbindet traditionelle Baukastensysteme mit App-Entwicklung. Kinder ab acht Jahren bekommen ein Spielbrett, das ein schwarzes 13×13-Raster enthält. In dieses Raster können sie farbige Klötzchen stecken. Grün ist die Farbe der Wände, PowerUps sind rosa, Feinde lila, Schätze gelb, Wasser blau, usw.. Mit diesen „Blocks“ baut man seine Videospiel-Levels. Auf einem Plastikbrett, ganz analog, ohne Computer, Tablet und Co. Erst nach Fertigstellung eines Levels wird das Spiel- brett mit einem Tablet abfotografiert, um es in die kostenlose Bloxels-Builder-App zu übertragen. Nun hat man das gleiche farbige Muster, das physikalisch greifbar vor einem liegt, digital auf dem Bildschirm. Manche der
„Blocks“ müssen noch mit einer Funktionalität versehen werden. So muss man beispielsweise wählen, ob man als PowerUp einen Raketenrucksack, Bomben oder ein Zusatzleben benötigt. Dies gilt aber wirklich nur für die wenigsten „Blocks“. Danach kann man jedem einzelnen Block eine grafische Repräsentation zuweisen. Wer will schon über grüne Blöcke laufen? Eine Wiese oder ein Felsen sind da doch viel schöner. Daher gibt es eine Bibliothek mit unzähligen grafischen Elementen wie Schatztruhen, Wasserfällen, Lavaströmen oder animierten Bösewichten. Alles in einer sympathischen 8Bit-Grafik. Hat man diese Schritte des Designprozesses durchschritten, kommt der wichtigste Teil: das Testen. Man startet sein Spiel. Rennt, hüpft oder schwimmt durch seinen Level und wird relativ schnell feststellen, dass etwas nicht funktioniert. Also geht es wieder von vorne los. Auf dem Spielbrett werden verschiedene „Blocks“ ausgetauscht. Eine Schlucht wird verengt, ein Gegner versetzt, der Schatz an einer schwierigeren Stelle platziert. Das Spielbrett wird erneut abfotografiert. Dann geht es in der App wieder ans konfigurieren, also die neuen Funktionen zuzuweisen, die Grafiken anzubringen, das Spiel zu testen. Wahrscheinlich muss jetzt erneut verbessert werden, und zwar solange, bis alles stimmt. Bloxels ist voll und ganz nach Gesichtspunkten des Design Thinkings entwickelt worden und die oben genannten Schleifen findet man hier auch. Letztendlich entwickeln Kinder hier nicht nur ein Videospiel, sondern sie lernen einen Prototypen so lange zu verbessern, bis das optimale Spielerlebnis hergestellt werden kann. Diese Herangehensweise hat viel mehr damit zu tun, wie Kinder normalerweise spielen, als mit Lernen. Und dennoch lernen sie Leveldesign.

Little Bits

Nach wie vor gibt es eine große Anzahl Experimentierkästen auf dem Markt. Eltern wollen ihren mehr oder weniger begeisterten Sprösslingen Physik, Chemie oder Elektrotechnik beibringen. Da sind wir wieder bei dem EINEN richtigen Lösungsweg. Ein Experimentierkasten ist meiner Meinung nach wie Schule für daheim. Es gibt keinen Lehrer, sondern ein Heftchen, und das erklärt dem Kind, wie es Transistoren, Schalter und Lampen in einer Art zusammenstecken kann, dass es ein tieferes Verständnis von einem Stromkreislauf oder ähnlichem bekommt. Aber mal im Ernst: Welches Kind interessiert sich für Wechselstrom? Mittlerweile wird die etwas eingestaubte Naturwissenschaftsbastelei im lustigen Edutainment-Gewand präsentiert: Jetzt werden Dinoroboter gebaut und der Motor dreht sich nicht einfach, sondern schießt einen Propeller ab. Leider eben nur diesen einen Propeller, denn man kann ja nur bauen, was in der Packung ist und wenn man gelernt hat, immer den EINEN Lösungsweg zu beschreiten, wird man auch nicht viel weiter kommen. Schließlich hat man alle Punkte der Anleitung erfolgreich abgearbeitet. Warum sollte man denn anstatt eines Propellers ein Windmühlenrad auf den Motor stecken? Das ist erstens nicht in der Anleitung vorgesehen und liegt zweitens ohnehin nicht der Packung bei.
littleBits geht da andere Wege. Hierbei handelt es sich eher um ein Erfindersystem als um Experimentierkästen, auch wenn zum Teil Sets angeboten werden. Es gibt unzählige Bausteine, Bits genannt. Jedes Bit ist eine Funktionseinheit. In erster Linie sind das Eingabegeräte wie Sensoren aller Art und Ausgabegeräte wie Motoren, Servos, Lampen
oder Lautsprecher. Der Anspruch von littleBits besteht auch überhaupt nicht darin, eine Schaltung zu verstehen, sondern Dinge zu erfinden, wie etwa eine Maschine, die Kunst macht. Oder eine Alarmanlage für eine Schultasche. Oder eine Konstruktion, die die Katze füttert. Das ist ziemlich clever, denn Kinder lernen heute, sich Wissen stückchenweise anzueignen. Sie suchen in Google nach den Informationen, die sie interessieren und nicht mehr nach dem großen Ganzen. Warum sollten sie wissen wollen, wie eine Lichtschranke funktioniert?
In einer großen Firma weiß das auch nur der Typ, der für die Lichtschranken zuständig ist. Die Mitarbeiter, die zum Beispiel Schiebetüren montieren, wollen einfach das Teil irgendwo festschrauben. Letztendlich macht littleBits den Anwender zum Designer oder Erfinder. Er kann etwas entwickeln und muss sich nicht darum kümmern, was unter der Motorhaube ist. Dieser Ansatz ist natürlich ketzerisch in einem Land, in dem Ingenieurwissenschaften so hoch gehalten werden. Allerdings reden wir ja immer noch von Kindern und die wollen die Maschine bauen, die die Katze füttert und nicht darüber nachdenken, auf welcher Wellenlänge eine Infrarotdiode sendet.
Die Bits werden magnetisch aneinander gehängt und funktionieren eigentlich immer. Daher ist es auch egal, ob eine Lampe von einem Bewegungssensor, Temperatursensor oder gar via Handy eingeschaltet wird. Man muss nur das entsprechende Eingabemodul austauschen. Selbst eine Anbindung an Minecraft existiert mittlerweile, das heisst
wenn eine Minecraft-Figur virtuell auf einen Schalter drückt, leuchtet real die Lampe auf. Das Bit, das man vor die Lampe hängt, schaltet die Lampe ein. Fertig. Der Anwender muss
sich keine Gedanken über Vorwiderstände oder ähnliches machen. littleBits animiert Jeden zum forschen und erfinden. Denn selbst die Sets enthalten nur die Bits, aber nicht die
Projektmaterialien selbst. So muss man sich für das Synthesizer-Set beispielsweise erst mal eine Gitarre bauen, da die Bits nur die Töne erzeu- gen, man aber auch ein schönes Performance- Instrument braucht – und für dieses gibt es bewusst keine Anleitung. Für das NASA-Set benötigt man eine Satellitenschüssel. Es spielt dabei keine Rolle, ob man diese aus Pappe herstellt oder eine alte Plastikschlüssel vom Sperrmüll besorgt. littleBits versteht sich als Dienstleister. Kleine und große Erfinder sollen ihre Ideen verwirklichen können und sich nicht darüber ärgern, irgendwo eine Diode falsch gesteckt zu haben. Darum stellt littleBits auch eine Plattform im Internet zur Verfügung, auf der sich die User austauschen können. Hier wird über Erfindungen, Konstruktionen und Design gesprochen, nicht über Fehler in der Verkabelung. Es gibt darüber hinaus auch Adapterplatten für Lego, sodass man die Bits auf Legokonstruktionen stecken kann. Womit wir bei unserem letzten Beispiel wären.

Lego Education

Rein statistisch besitzt jeder Mensch auf der Erde 62 Legosteine. Aufgrund der schier unendlichen Kombinationsmöglichkeiten wurden der Legostein Ende der 90er Jahre vom Verband der britischen Spielzeughersteller zum Spielzeug des Jahrhunderts gewählt. Einerseits gibt es das „Lego Serious Play“, einen moderierten Prozess, der zur Bewältigung von Problemen in der Geschäftswelt eingesetzt wird. Neben diesem Lego für Manager existiert noch ein Lego für Schulen: „Lego Education“. Hierbei handelt es sich um Legokästen, die zunächst ohne Anleitungen ausgeliefert werden, da die Anleitungen didaktisch in spezielle Apps eingebaut sind. Natürlich soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass sich Lego diese Apps fürstlich bezahlen lässt (die Kästen selbstredend auch). Aber man bekommt dafür ein sehr ausgefuchstes System, in dem es nicht nur ums Bauen, sondern vor allem um das Verstehen geht. Lego kann auf den Education- Sektor auf viele Jahre Erfahrung zurück blicken und hat den Bogen raus. Vor allem weil man das System nicht nur mit etablierten Wissenschaftlern entwickelt hat, sondern es für jedes Land neu portiert, d.h. sinnvoll in bestehende Lehrpläne integriert. Neben den klassischen Themen wie beispielsweise Mechanik oder Mathe, existieren auch Produktlinien, die sich den Fragestellungen unserer Zeit verschrieben haben: „LearnToLearn“, „BuiltToExpress“, „StoryStarter“. Natürlich kann man dem Konzern vorwerfen so zu versuchen, seine Produkte in Klassenzimmern zu etablieren, um den Verkauf in den Spielzeugläden anzukurbeln. Dennoch muss man Lego attestieren, dass sie ihr Education Programm sehr gut aufgestellt haben. Der Ansatz ist auch hier wie bei Bloxels oder little- Bits der, dass Kinder ihr Ding machen. So gibt es zum Beispiel die Aufgabe, dass sich Stadtkinder eine Nacht am Lagerfeuer in der Wildnis vorstellen sollen. Vorstellen heißt in diesem Zusammenhang: bauen und beschreiben. Die Aufgaben sind nie konkret, sondern immer vage. Sie sollen die Kinder dazu animieren, ihre Vorstellungen zu visualisieren und zu verbalisieren. Auch hier gibt es kein Richtig und kein Falsch. Denn jeder Mensch ist anders. Es geht darum, Unterschiede aufzuzeigen und zu respektieren, aber auch Gemeinsamkeiten zu finden.

Dies waren drei konkrete Beispiele dafür, wie Unternehmen mit dem Wissen über Kreativität von Kindern umgehen und dieses in konkrete Produkte zum kreativen Spielen und Lernen umsetzen. Die Erkenntnis, dass Bildung Spaß machen kann, wurde uns zwar immer von unseren Eltern indoktriniert, aber so richtig glauben wollten wir das nie. Da wir das Lernen nur aus der Schule kennen – der Schule, die unsere kreativen Ansätze nicht sehen will, denn im Lösungsheft des Lehrers steht etwas anderes. Ein bekannter Vertreter der Sorte „geplagter Schüler, der irgendwann die Erleuchtung findet“ ist George Lucas. Der Erfinder von „Star Wars“ hasste die Schule und alles was dazu gehörte. Erst auf der Filmschule erkannte er, wie sehr Bildung sein Leben bereichern kann. Warum? Weil er Dinge lernte, die ihn inter- essierten und er die Möglichkeit hatte, seine Ideen zu verwirklichen. Daher gründete er 1991 die „George Lucas Educational Foundation“, eine Gesellschaft, die an die kreative Kraft von Kindern glaubt und die eine neue Lernwelt in Theorie und Praxis schaffen will. Die „George Lucas Educational Foundation“ untersucht eingehend, was Lehren und Lernen überhaupt bedeuten und welche Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssen, das heißt sie entwickelt und liefert Bausteine für eine Schule der Zukunft, die sie schon aktiv in der Schule der Gegenwart anwendet. Dazu gehört beispielsweise die Hinterfragung des Bewertungssystems. Was wird in unseren Abiturprüfungen abgefragt? Wie werden Fähigkeiten wie Teamverhalten, Kollaborationsverhalten oder moralische Standards gemessen? All die Dinge, die in einer Hochschule (oder der Arbeitswelt) einen sehr hohen Stellenwert aufweisen. In Lucas‘ Institution geht es darum, Schüler zu beobachten und herauszufinden, was diese interessiert. Es geht um die Dinge, die Kinder und Jugendliche ohnehin gerne tun und wie man diese für ihre Bildung einsetzen kann.
Kinder sind die geborenen Designer, denn sie sind neugierig auf alles, was sie umgibt. Sie haben ein hohes Interesse daran, Dinge und die Welt nach ihren Wünschen zu gestalten. Kinder sind auch die geborenen Prototypen, denn sie verfügen über angeborene Problemlösungsstrategien, die wir Erwachsenen schon längst wieder vergessen haben. Letztendlich sind es wir Erwachsenen, die versuchen unsere Kinder in Formen und Normen zu pressen. Dabei bleibt deren kreatives Potenzial auf der Strecke. Wenn sie dann irgendwann zu studieren anfangen oder ins Arbeitsleben eintreten, sind es aber auch wir, die sich beschweren, dass wir angepasste Menschen vor uns haben, die immer nach der EINEN, richtigen Lösung suchen – selbst wenn es diese gar nicht gibt. An einer Hochschule führt man endlose Diskussionen mit Studienanfängern, die sich alle um das gleiche Thema drehen: „Was nutzt es mir, ein gutes Referat zu halten, wenn ich dafür eine schlechte Note bekomme? Dann mache ich doch lieber, was der Dozent will und krieg meine Eins.“
Spätestens an dieser Stelle sollte klar werden, was junge Menschen zwischen ihrer Kindheit und ihrem Studium alles verlieren, und warum wir alles daran setzen sollten, unseren Kindern deren Kreativität zu erhalten.

Dr. Marc Reisner
entwickelte und produzierte über 100 Film- beiträge und Medieninstallationen für Theater im In- und Ausland. Parallel unterichtete er an zahlreichen Hochschulen Filmproduktion sowie Medienpädagogik. Momenten ist er Vertretungsprofessor an der Hochschule Rhein Main für Medien und Sozialmanagement. Außerdem ist er der 1. Vorsitzende des „Designzentrums Rhein Neckar e.V.“ sowie der 1. Vorsitzende von „Flimmermenschen – Akademie für Film und Alltag e.V.“. In dieserrator für „The Look of the d – Fernsehforum für Musik“.

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