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SPRECHER, MODERATOR & WORKSHOPLEITER

Joachim Kobuss

Unternehmen: Design

REVOLUTION – DESIGNER, EMANZIPIERT EUCH !

SPRECHER, MODERATOR & WORKSHOPLEITER

Joachim Kobuss

Unternehmen: Design

Aber wie, ist man geneigt zu fragen, und welche sinnfällige Idee steckt eigentlich in dem Motto „Revolution“? Was müssen Designer tun, um sich durch ihre Arbeit von der eigenen Unmündigkeit, von gesellschaftlichen Festlegungen, überholten Traditionen und aufgezwungenen Weltanschauungen zu emanzipieren? Und: Sind Designer in der Lage, sich sowohl von den äußeren (ökonomischen und politischen) Zwängen und ihrer inneren Zerrissenheit selbst zu befreien

 

Mit diesen Fragen stelle ich hier einige mögliche Antworten zur Diskussion. Damit möchte ich das Feld relevanter Wechselwirkungen zwischen Designen und Revolutionieren ansatzweise abstecken, ohne allerdings Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Wahrheit zu erheben. Es sind vielmehr subjektiv einbezogene Perspektiven und Zuordnungen verschiedener Experten aus der Designtheorie/-lehre und anderen designrelevanten Geisteswissenschaften. Der Auswahl liegt meine langjährige teilnehmende Beobachtung von Designern aus meiner designökonomischen und designpolitischen Perspektive zugrunde.

 

Leiten lasse ich mich hier von der Erfahrung, dass Designer in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen nicht nur unterschätzt werden, sondern dass sie sich diesen oft auch nicht voll umfassend bewusst sind. Eine der Ursachen liegt in unserer Gesellschaft selbst, und hier vor allem in Erziehung und Ausbildung: Individuell wird Kreativität hier nur selten gefördert. Kein Wunder also, dass die berufsspezifi schen Besonderheiten einer kreativen Arbeitweise gerade in diesen prägenden Lebensphasen nicht erkannt werden. So gesehen steht Revolution auch als grundlegende und nachhaltige Wandlung des Verständnisses von Designen und Designern. Und dieses neue Verständnis löst tradierte Vorstellungen und sich hartnäckig haltende Vorurteile ab. Auslöser dieser neuen Sichtweise sind die Designer selbst, nur sie können diesen Wandel herbeiführen und die Vorurteile – „Ideen die gefroren sind oder die geerbt sind oder die traditionell sind oder die längst tot sind und die akzeptiert werden, ohne zu schauen, ob sie wahr sind“ (nach dem britisch-schweizerischen Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur Peter Ustinov) – auflösen.

Revolution als Interpretation des Entwerfens

Der Designtheoretiker Friedrich von Borries spricht in Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie (2016) vom Entwerfen als Gegenteil vom Unterwerfen: „Alles, was gestaltet ist, unterwirft uns unter seine Bedingungen. Gleichzeitig befreit uns das Gestaltete aus dem Zustand der Unterwerfung. Design schafft Freiheit, Design ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht möglich oder nicht denkbar waren.“ Er ergänzt: „Entwerfen ist der Ausgang des Menschen aus der Unterworfenheit. Das als Gegenteil zum Unterwerfen verstandene Entwerfen ist Ausgangspunkt für eine politische Perspektive auf Design, die Entwerfen als einen grundlegenden, emanzipatorischen Akt versteht.“ Entwerfende Designer müssen sich deshalb taktisch verhalten. Denn Design wird im bestehenden ökonomischen System instrumentalisiert, weshalb Designer nicht aus einer strategischen Position heraus agieren können. Designer müssen daher verantwortungsvoll und somit politisch handeln. 

 

Designer, emanzipiert euch !

Revolution als Empörung und Engagement

Der französische Widerstandskämpfer und Autor Stéphan Hessel hat in seiner Schrift Empört euch! (2010/2011) ausgerufen: „Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen.“ Und in Engagiert euch! (2011) betonte er: „Auf das Problembewusstsein muss die Strategie des Handelns folgen.“ Letzteres hat er als Erwartung an die Politiker gerichtet. Doch Politiker sind nicht die Einzigen, die handeln. Daher gilt seine Proklamation für alle Akteure unserer Gesellschaft. Hier will ich mich aber auf die Designer konzentrieren. Für sie gilt, die Vorurteile zu erkennen, darüber nachzudenken und selbstständig zu handeln.

 


Designer, nehmt Eure Interessen in Eure eigenen Hände und verlasst Euch nicht darauf, dass es andere für Euch tun!

Revolution als akzeptierte Verdrängung

Der amerikanische Philosoph Hubert Dreyfus und sein kanadischer Kollege Charles Taylor haben in ihrem Buch Die Wiedergewinnung des Realismus (2015/2016) unter anderem betont, dass „wissenschaftliche Revolutionen Beispiele für die Verdrängung des Überholten sind. Wenn sie nicht unverzüglich akzeptiert werden, liegt das nicht daran, dass ihnen die rationale Begründung fehlt, sondern daran, dass die ältere Auffassung tief verwurzelt ist. Der Beweis liegt […] darin, dass es kein Zurück zur alten Betrachtungsweise gibt, sobald man die neue Gesamtanschauung begriffen hat.“ Für Designer bedeutet dies, dass die neue Sicht auf ihre Person und ihre Dienst-/Werk-Leistungen die alte und längst überholte erst dann verdrängt, wenn sie eine klare Haltung entwickeln und sich eindeutig positionieren.

 


Designer, sagt, wozu Ihr steht und welche Wirkung Ihr erzielen
wollt – hinterlasst Eure „Delle“ in Eurem „Universum“ (frei nach
Apple)!

Revolution als vernetztes Denken

Eine Lösung für die kompliziert gewordene Welt ist die Fähigkeit zum vernetzten Denken, „das mit Instabilitäten rechnet und Abweichungen liebt, das Komplexitäten nicht vermeidet oder wegredet, sondern versteht und entfaltet und sie mit ihren eigenen Mitteln schlägt.“ So der deutsche Soziologe Armin Nassehi in Die letzte Stunde der Wahrheit (2017). Das passt – wie ich meine – gut zu Designern, denn schließlich entwerfen und verwerfen sie nicht nur die Welt – sie sind auch Teil von ihr. Ich denke, dass dazu eben auch gehört, Widersprüche, die sich immer wieder auftun, auszuhalten und die Offenheit aufzubringen, immer wieder neue Wege zu suchen. Genau das macht die Designer aus, und genau das macht sie letztlich auch erfolgreich. Designer, nutzt Eure Fähigkeiten und redet darüber!

Revolution als Kooperation

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat mit seinem Buch Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält (2012) Kooperation als „handwerkliche Kunst“ begriffen, die Fähigkeiten erfordert „einander zu verstehen und aufeinander zu reagieren, um gemeinsames Handeln zu ermöglichen“. Er betrachtet darin Kooperation „als Schmierstoff für jene Maschinerie, mit deren Hilfe wir es schaffen, dass Dinge getan werden, und indem wir uns mit anderen Menschen zusammentun, […] wir individuelle Mängel ausgleichen [können].“ Kooperation definiert er als Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren. Eine anspruchsvolle und schwierige Art von Kooperation ist es, „Menschen zusammenzubringen, die unterschiedliche oder gegensätzliche Interessen verfolgen, die kein gutes Bild voneinander haben, verschieden sind oder einander einfach nicht verstehen“. Auf andere Menschen nach deren eigenen Bedingungen einzugehen, ist eine Herausforderung für jedes Konfliktmanagement. Durch anspruchsvolle Formen der Kooperation können wir Selbsterkenntnis gewinnen. Das setzt gewisse Fertigkeiten voraus, wie gutes Zuhören und taktvolles Verhalten, das Finden von Übereinstimmungen, geschickter Umgang mit Meinungsverschiedenheiten oder Vermeidung von Frustration in schwierigen Diskussionen – also Dialogfähigkeiten. Diese machen es möglich zu erkennen, dass die Institutionen und die (mittelständische) Wirtschaft mit einer – digitalen – Revolution konfrontiert sind, deren  Bewältigung „kreative“ Innovationen braucht. Designer, kooperiert mit der Revolution!

Revolution als digitale Info- und Kommunikationstechnologie

Der italienische Philosoph Luciano Floridi hat sich in seinem Buch Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert (2014/2015) mit den Veränderungen nach den Revolutionen der Physik, Biologie und Psychologie auseinandergesetzt. Er stellt darin unter anderem fest: „Die Trennung zwischen online und offline schwindet, denn wir interagieren zunehmend mit smarten, responsiven Objekten, um unseren Alltag zu bewältigen oder miteinander zu kommunizieren. Der Mensch kreiert sich eine neue Umwelt, eine ‚Infosphäre‘.“ Die Möglichkeiten, die er mit der Stärke der Technologien verbindet, unterscheidet er in drei Formen der Reaktion darauf: „Zurückweisung, kritische Akzeptanz und proaktives Design.“ Er empfi ehlt ein kritisches Bewusstsein, eine bewusste Toleranz und ein vorausschauendes Überlegen, um verstehen zu können, „welche Anpassungsforderungen Technologien gegenüber ihren menschlichen Anwendern haben werden, um technische Lösungen zu entwickeln, die deren Kosten für uns senken und ihren Nutzen für die Umwelt steigern können.“ Daraus schließt er, dass der menschlichen Intelligenz große Bedeutung beigemessen werden sollte, denn es ist ein Zeichen von Intelligenz, „wenn man die Dummheit [technologische Artefakte] dazu bringt, für einen zu arbeiten.“

 

Designer, nutzt Eure Intelligenz – mithilfe von Mentefakten und Soziofakten – um die Artefakte für Euch arbeiten zu lassen!

Revolution als digitale Info- und Kommunikationstechnologie

Revolution als wachsendes Bewusstsein
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari hat in seinem Buch Homo Deus (2015/2017) folgende Frage gestellt: „Was ist wertvoller – [algorithmische] Intelligenz oder [menschliches] Bewusstsein?“
Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage ist es hilfreich, das Zitat aus dem dystopischen Roman 1984 (1949) des britischen Schriftstellers George Orwell hinzuziehen: „Solange ihr Bewusstsein nicht erwacht, werden sie niemals rebellieren, und solange sie nicht rebellieren, wird ihr Bewusstsein nicht erwachen können.“ Daraus resultiert, dass Bewusstsein und Revolution sich gegenseitig bedingen. Das Bewusstsein, dass die zunehmende Ökonomisierung weiterer Teile unserer Gesellschaft Veränderungen mit sich bringt, die in ihren Folgen schwer zu überschauen sind, sensibilisiert uns für Herausforderungen: den Neoliberalismus, der die Demokratie gefährdet, die digitale Transformation und den sich in deren Folge abzeichnenden Postkapitalismus. Das führt uns direkt zur Frage der gesellschaftlichen Anerkennung der Designer (im Gegensatz zur bloßen Berücksichtigung). Wer sich aus seiner sklavenähnlichen Passivität heraus bewegen will, in eine an der Macht beteiligte Aktivität wechseln will, muss eine konstruktive und produktive Revolution herbeiführen. Damit ist eine Machtbeteiligung gemeint, eine aktive und gelebte Teilhabe an gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Verantwortung. 

 

Designer, nutzt Eure entwerferischen und gestalterischen Fähigkeiten zur aktiven Beteiligung und Verantwortung!

Designer, erweitert den Design-Begriff und zeigt das Wesen der „Dinge“!

Revolution als erweiterter Design-Begriff

Es dominiert immer noch ein Image des Designers, der sich ausschließlich
um die äußeren Eigenschaften von Produkten und Medien kümmert – die, in Bezug auf Geschmack und Mode, Unterschiede in den Vordergrund rücken sollen. Der französische Soziologe Bruno Latour hat das in seinem Essay Ein vorsichtiger Prometheus? (2009), die außerordentliche Karriere des Design-Begriffs auslotend, sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Von einer Oberflächeneigenschaft in den Händen eines ‚nicht so wichtigen‘ Berufsstandes, der im Zuständigkeitsbereich von ‚sehr viel ernsthafteren‘ Fachleuten (Ingenieuren, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten) Eigenschaften hinzufügte, hat sich Design kontinuierlich ausgebreitet bzw. weiterentwickelt, so dass es in zunehmendem Maße für das eigentliche Wesen der Produktion von Bedeutung ist. Mehr noch, von den Details alltäglicher Objekte wurde Design ausgeweitet auf Städte, Landschaften, Nationen, Kulturen, Körper, Gene und […] auf die Natur selbst […]. Es ist so, als wäre die Bedeutung des Wortes in ‚Begriffsumfang‘ und ‚Extension gewachsen […].“

 

Er ergänzt, dass der Design-Begriff zunächst im Umfang gewachsen ist, da er „mehr und mehr Elemente dessen, was ein Ding ist, geschluckt“ hat. Es wäre absurd, „das, was [an einem Apple iPhone] designt wurde, von dem unterscheiden zu wollen, was daran geplant, berechnet, gruppiert, arrangiert, zusammengefasst, verpackt, definiert, projektiert, gebastelt, disponiert, programmiert usw. wurde“. Designen kann daher eine dieser Tätigkeiten oder alle bedeuten. Ferner ist der „extensionale Anwendungsbereich des Wortes gewachsen“, da sich Design auf immer größere Produktionsgefüge anwenden lässt: „Das Spektrum der Dinge, die designt werden können, ist sehr viel breiter geworden und lässt sich nicht mehr auf eine Liste von Gebrauchs- oder sogar Luxusgütern beschränken.“

 

Bruno Latour interessiert sich nicht etwa deshalb für die Erweiterung
des Begriffsumfangs und des Anwendungsbereichs von „Design“, weil er genauere Kenntnisse von Design (und noch weniger über seine Geschichte) hätte – er sieht in dieser Ausweitung vielmehr das „faszinierende Zeichen einer Veränderung in der Art und Weise, wie wir generell mit Objekten und Handlungen umgehen“. Ausgehend von einem in unserer gegenwärtigen „historischen“ Situation möglichen Bruch zwischen einerseits „Emanzipation, Loslösung, Modernisierung, Entwicklung und Beherrschung“ und andererseits „Bindung, Zuwendung, Verwicklung, Abhängigkeit und Fürsorge“, könnte das „kleine Wörtchen ‚Design‘“ einen entscheidenden Prüfstein darstellen, um herauszufinden, wohin wir unterwegs sind und wie gut oder schlecht es dem Modernismus (und dem Postmodernismus) ergangen ist.“ Provokant formulierend behauptet er sogar, dass „Design einer der Begriffe ist, die das Wort ‚Revolution‘ ersetzt haben!“.

 

Designer, erweitert den Design-Begriff und zeigt das Wesen der „Dinge“!

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